Als wir Abends durch Konya streifen, fällt uns auf, dass hier wenig Katzen sind. Gar keine Katzen. Das ist seltsam, denn Istanbul ist voller Katzen. Am nächsten Morgen sehen wir auf dem Markt, wie die Fischverkäufer einer Katze einen kleinen glitzernden silbernen Fisch zuwerfen. Ich lese im Handy eine Notiz auf Twitter. Zeynep hat sie gepostet. Es ist eine Pressekonferenz wegen der Tierquälereien in Konya. In den dortigen Tierasylen hat man anscheinend reichlich Tiere umgebracht. Konya ist die religiöseste Stadt, sagen alle meine Freunde. Und dass sie dort nicht gerne hingehen. Mir fällt ein, wie wir am ersten Abend nach der Derwischvorstellung in Begleitung von zwei türkischstämmigen Frauen aus Deutschland von der Veranstaltungshalle zum Hotel gingen. Auf dem Weg sprachen wir über Rumi. Dass man mit Menschen gut umgehen solle, sagte die Frau. Und mit Tieren genauso. Dass man sie nicht quälen solle. Als sie hörte, dass mein Sohn Biologe ist, betonte sie es noch einmal. Der Islam gebe vor, mit Tieren und Menschen und der Natur gut umzugehen. Dann schwärmte sie von dem Sänger, den wir eben gesehen hatten und der den musikalischen Teil der Vorstellung bestritten hatte und den mein Sohn und ich ganz furchtbar fanden. Er habe so eine wunderschöne und begabte Schauspielerin zur Frau gehabt. Aber dann habe er sich getrennt, weil er sich nur noch der Religion widmen wollte. Sie hatte ihn einmal auf einem Konzert in der Moschee von Nürnberg erlebt und war schwer beeindruckt. Ich hatte gleich als ich ihn sah vermutet, dass dieser Sänger der falschen Partei angehört. Als wir wieder im Hotel waren, sah ich im Internet nach und wurde fündig. Er war tatsächlich dreimal verheiratet, seit er religiös geworden ist und hat jede Frau wieder mit der nächsten betrogen. Am zweiten Abend sind wir einfach später in die Derwischvorstellung gegangen und haben uns nur die Tänzer angesehen. Den Sänger brauchen wir uns nicht nochmal anzuhören, mein Sohn und ich sind uns einig. Auch Zeynep hält gar nichts von diesem Sänger, der wohl auch mal ein mittelmäßiger Yesilcamschauspieler gewesen sein muss, sagt sie. Sie erkundigt sich aber trotzdem brav nach unseren Erfahrungen in Konya, als wir uns heute Abend in Nisantasi, dem schicken Reichenviertel, treffen, weil wir zum Kino verabredet sind. Wir wollen in den neuen Film von Emir Alper gehen, Zeyneps Lieblingsregisseur. Der Film heißt „Kurak Günler („Burning days“). Kurak heißt eigentlich trocken. Auf dem Weg dahin verrät sie mir, dass sie den Film schon vor zwei Tagen gesehen habe. Und erzählt, dass es in dem Film u. a. um eine homosexuelle Geschichte ginge. Der Film habe eine Filmfördeurng vom Ministerium für Kultur bekommen, die aber nach Fertigstellung zurückgezogen worden sei. Und jetzt würden sich alle im Internet solidarisieren und so viele Karten wie möglich kaufen, damit der Filmemacher, dessen Film auf allen großen Festivals lief und in Cannes ausgezeichnet wurde, Unterstützung finde. In unserem Kino läuft er heute in vier verschiedenen Sälen. Das ist toll. Bigotterie, Massenhysterie, Missbrauch, Wahlfälschung und Homophobie, das sind die zentralen Themen des Films, der in einer Stadt in Anatolien spielt, in Keyseri sagt Zeynep, nicht weit von Konya entfernt. Der Film dauert 2 1/2 Stunden und ist extrem spannend. Es beginnt mit einer Szene, bei der ein wildes Schwein durch die Stadt gejagt, getötet und hinter einem Auto hergeschleift wird, bis eine Blutspur in der ganzen Stadt ist. Eine Asssoziation mit den immer wieder vorkommenden Christenprogromen stellt sich sofort ein. Ein junger Staatsanwalt kommt in diese Stadt und wird von den Leuten bei seiner Suche nach der Wahrheit der Vergewaltigung einer geistig behinderten Romafrau und den Gründen für die Wasserknappheit im Ort, für die der Bürgermeister zuständig ist, gelinkt. Zu Beginn bringt ihm ein junger Mann Rattengift, das Motiv der sterbenden Ratten in seinem Haus, die immer wieder zu hören sind, zieht sich durch den Film. Das Ende bleibt offen, aber es ist ganz klar, warum das Kultusministerium diesen Film des Regisseurs, der sich selber als „pessimistischen Autorenfilmer“ bezeichnet, nicht mag. Er zeigt auf, was alles nicht stimmt in diesem Land. Die Kamera hat übrigens der griechische Kameramann Christos Karamanis gemacht. „Wir Türken mögen die Griechen nicht“, das habe ich hier schon öfter gehört, wer wissen möchte, was die „Rum“, die griechischsprachigen Menschen der Türkei durchgemacht haben, kann es in meinem letzten Blog über den Nikolaus nachlesen https://sabineschiffner.de/blog-24-topkapi-istanbul/. Der griechische Kameramann hat einen auch visuell überwältigenden Film geschaffen, die karge verbrannte trockene Weite Anatoliens ist schön und schrecklich zugleich. Während des Films bekomme ich eine Whatsapp aus Deutschland mit einem Artikel darüber, dass der Istanbuler Bürgermeister Imamoglu wegen Beleidigung angeklagt und zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Er hatte einen Minister „Idiot“ genannt. Das ist nur ein Vorwand, ihn anzuklagen. Das Ganze geht in Berufung und er wird nicht ins Gefängnis kommen, aber es dient dazu, ihn zurzeit, kurz vor den Wahlen, von seinen politischen Ämtern fernzuhalten, erklärt Zeynep mir den Vorgang. Die Katzen in Konya sind fast ganz verschwunden, muss ich denken. Ob dort wohl jetzt die Ratten aus den Löchern kriechen?