Dass Bücherschreiben und Veröffentlichen in der Türkei gefährlich sein kann, ist eine traurige Tatsache. Der Pen- Writers in Prison in der Türkei ist deshalb sehr aktiv. Heute fand an einem Ort in Kadiköy/Istanbul eine insgesamt drei Tage dauernde Veranstaltung statt, bei der ehemals inhaftierte Schriftsteller lasen, so dass ich dort hinfahren wollte, um ihnen zuzuhören. Zum Ort des Geschehens fuhren wir mit dem Taxi. Dass Taxifahren in Istanbul gefährlich werden kann, weil man als Ausländer von Taxifahrern gelinkt wird, ist mir oft berichtet worden, ganz besonders von Türken, die mich immer wieder davor gewarnt haben. Aber passiert ist mir das bisher noch nie. Vielleicht liegt es daran, dass ich, sobald ich ins Taxi steige, versuche türkisch zu sprechen, auf meinem Handy den Weg zu verfolgen und mich inzwischen auch einigermaßen auskenne. Aber das alleine kann es nicht sein, denn heute erlebte ich das erste Mal, dass ein Taxifahrer linkte, als ich mit zwei sehr ortskundigen Türken im Taxi unterwegs war. Wenn man von der asiatischen auf die europäische Seite mit dem Taxi fahren will, muss man lange suchen, die meisten Fahrer weigern sich, einen auf die andere Seite zu bringen, sie wollen auf ihrer Seite bleiben, es gehen genug Fähren, die schneller sind als ein Taxi. Unser Taxifahrer, der uns zu einem Treffen von „Pen in Prison“ bringen soll, wo uns die befreundete Anwältin Ipek Özel erwartet, ist angeblich von der anderen Seite des Bosporus, weshalb er erst den Weg nicht finden kann. Die meisten Taxifahrer navigieren mit dem Handy in der Hand, dieser nicht, er lässt sich von dem neben ihm sitzenden Dichterkollegen den Weg erklären und biegt immer wieder falsch ab und fährt Kreise. Dann gibt er den Weg doch in sein Handy ein, lässt sich über Außenlautsprecher lenken und verfährt sich doch wieder. Meine türkischen Mitfahrer werden immer gereizter, je höher das Taxometer steigt. Wir sind schon eine halbe Stunde unterwegs für einen Weg von 2 Kilometern und inzwischen ist das Taxometer bei 3 Euro, was mir wenig vorkommt, aber für die Türken sehr viel ist, als ein Müllsammler die Straße mit seinem Karren blockiert. Da platzt dem vor mir sitzenden Dichter der Kragen und er legt sich mit dem Müllsammler an. Nun kommt es fast zu einer Schlägerei und ich verkrieche mich ebenso wie der neben mir sitzende ehemalige Chemieprofessor in meinem Sitz. Glücklicherweise zieht der Müllsammler davon, ohne die angedrohten Schläge auszuteilen und wir fahren weiter. Nach langem Herumfragen werden wir dann an der vermutlich richtigen Stelle ausgesetzt. Die beiden Türken irren herum auf der Suche nach dem Ort, als ich glücklicherweise das Schild sehe, das auf den Veranstaltungsort hinweist. Es geht über eine verlassen wirkende kleine Straße, dann kommen wir zu einem Tor, hinter dem ein großer Garten ist, in dem lange Tische aufgebaut sind, auf denen viele Bücher liegen. An der Seite ist ein Podium mit Stühlen. Ipek Özel, die Rechtsanwältin des kurdischen inhaftierten Dichters Ilhan Sami Comak, von dem ich ja schon öfter berichtete, kommt uns zur Begrüßung entgegen. Unter einem großen Maulbeerbaum, der voller weißer reifer Früchte hängt, wird Tee serviert. Dann erzählt sie mir, dass alle Bücher, die hier auf den Tischen liegen, von derzeit in der Türkei inhaftierten Dichtern seien. Die Männer, die zwischen den Büchern herumlaufen, sind auch alle schon im Gefängnis gewesen, aus politischen Gründen. Einer wird mir vorgestellt. Es ist Adil Okay, der wenig später sein neuestes Buch vorstellen wird: 38 Interviews mit aus politischen Gründen inhaftierten Schriftstellern, die er allerdings nicht selber interviewen konnte, sondern denen er Fragebögen schickte. Auch er selber war, allerdings Anfang der 80er Jahre, mehrere Jahre im Gefängnis, erzählt er mir dann. Ich gehe an den Tischen entlang, sehe mir die Bücher an und entdecke auch unter anderem die Bücher des Dichters Ilhan Sami Comak und des Führers der Oppositionspartei Demirtas, der seit fünf Jahren inhaftiert ist und in der Haft zum Schriftsteller wurde. Aber es gibt auch explizit sehr linksideologische Bücher wie eines über Marx und Engels „Deutsche Ideologie“. Meine Taxibegleiter sind neben mir, sie sind immer noch aufgeregt wegen eben. Die Türkei ist schlecht, so viele böse Menschen gibt es, insbesondere hier in Istanbul, sagen sie. Der Taxifahrer war auch so ein böser Mensch. Man muss so gut aufpassen, gerade hier in Istanbul passiert immer wieder Unheil. Aber was ist das alles verglichen damit , was den Autor*innen, deren zahlreiche Bücher hier liegen, passiert ist? Ich kann mich nicht über die angebliche Bösartigkeit beklagen, die Kriminalität in Istanbul. Bisher ist immer alles gut gegangen, ich bin nie bestohlen worden, habe immer nur gute Menschen getroffen. Aber das war in meinem Fall vielleicht Glück. Taxifahren ist gut, wenn man ein Taxi erwischt. Manchmal muss man lange suchen. Ich erzähle den beiden, dass ich heute Mittag eine sehr unkonventionelle „Taxifahrt“ hatte. Ich stand mit meinem Koffer und Gepäck am Straßenrand und versuchte einen Taxifahrer anzuhalten, als plötzlich ein Motorrollerfahrer stoppte und fragte, ob er mich mitnehmen solle. Ich sagte erst nein, aber er war sehr nett und überredete mich dann. Aber der Koffer, wie bekommen wir den mit? Den tat er vor seine Beine und meinen Rucksack setzte ich auf und dann ging die wilde Fahrt los. Das erste Mal in meinem Leben auf einem Motorroller und dann im Geschwindtempo zwischen den vielen Autos und Bussen hindurch, mit viel Gehupe, manchmal über den Bürgersteig, dann wieder hinunter. Zwischendurch plauderten wir auf türkisch. Als er mich fragte, was ich arbeiten würde und ich sagte: Sair/Dichterin, hielt er plötzlich an und holte aus seinem Koffer einen Helm. Ihm fiel wohl ein, dass es nicht so gut wäre, wenn man ihn mit einer deutschen helmlosen Dichterin anhalten würde. Die Fahrt machte mir Freude, aber ich war doch ein wenig erleichtert, als ich vor der Tür des RBnB, wo ich einziehen wollte, heil abstieg, denn der Helm ließ sich nicht schließen. Meine türkischen Freunde sind entsetzt, als sie davon hören. Sie ermahnten mich, so etwas nie wieder zu tun. Besonders wenn ich an Kurden geriete, könne das schlecht ausgehen, es gäbe hier soviel Kriminalität…Wir bleiben noch eine Weile auf der Veranstaltung und lauschen den Interviews, die die inhaftierten Dichter gegeben haben. Die schlimmsten Kriminellen hier in der Türkei, sagt einer neben mir, der eben beim Gespräch über die Taxifahrer mitgehört hat, sind nicht die linkenden Taxifahrer und erst recht nicht die unschuldig inhaftierten Dichter. Die schlimmsten Kriminellen sind die, die diese Intellektuellen und Künstler hinter Gitter gebracht haben….