Aya Nikolas-Heiliger Nikolaus

Für uns Bremer*innen ist der Nikolaustag schon immer etwas Besonderes gewesen. Vielleicht liegt es daran, weil Nikolaus der Schutzheilige der Schiffer und der Geschäftsleute ist. Beim Nikolaus sprachen wir im protestantischen Bremen natürlich nie von einem Heiligen. Den ihm rein äußerlich ein wenig ähnelnden Sankt Martin lernte ich erst im Rheinland kennen. Unsere bremischen Laternenumzüge aber fanden schon lange vor dem 12. 11. statt, ungefähr um Erntedank gingen wir Kinder mit Laternen und bekamen anschließend Beutel mit Süßigkeiten geschenkt. Im Dezember war dann der Nikolaustag einer der ersten Höhepunkte des letzten Monats im Jahr. Man bekam morgens Süßigkeiten und Obst, das er, der immer mit einem Esel unterwegs war, heimlich in die gut geputzten Schuhe oder auf Teller legte, die man am Vorabend hinausgestellt hatte. Am späten Nachmittag dann verkleideten wir uns und begingen das Nikolauslaufen bzw. Sünnerklaaslaufen und gingen erst an der Hand der Eltern und später auch alleine durch die Straßen und sangen vor den Geschäften und auch an mancher Haustür unsere plattdeutschen Nikolauslieder „Sünnerklas de groote Mann…“ und insbesondere das „Bin ein lütschen König…“, das ich am meisten mochte. Daraufhin bekamen wir noch einmal Süßigkeiten und Obst in unsere Tüten. Auch diese Sitte fand ich später im Rheinland an St. Martin wieder. Hier musste man allerdings Laternen tragen, wenn man um Süßigkeiten sang. Der Nikolaus wurde in Bremen nicht mit der Kirche oder irgendwelchen guten Taten in Verbindung gebracht, er war so eine Art Weihnachtsmann und sah ja auch so ähnlich aus. Ich selber wunderte mich immer, dass es zwei „Weihnachtsmänner“ gab, denn zu Weihnachten kam bei uns Protestanten natürlich auch nicht das Christkind. Später dann, als ich anfing, mich für Russland zu interessieren und feststellte, dass er dort als Väterchen Frost auch eine große Rolle spielte, glaubte ich eine Weile, wir Nordländer hätten vielleicht unseren Nikolaus vom Väterchen Frost abgeguckt. Das Nikolauslaufen, verkleidet und um Süßigkeiten singend, ist übrigens, was ich bis heute nicht wusste, eine rein bremische Tradition. Manchmal bekamen wir auch morgens eine Rute, an die Süßigkeiten angehängt waren oder es wurde uns angedroht, dass wir nichts bekämen, weil wir ungezogen waren. In Köln aber wurden den Kindern richtig die Leviten gelesen, bevor sie Süßigkeiten bekamen. Das fand ich, als ich es mitbekam, eher beängstigend und war froh, dass wir diese Süßigkeiten als Kinder ohne die Angst vor Bestrafung erhielten. Den Nikolauskult hat übrigens wahrscheinlich meine Kölner Nachbarin, die Kaiserin Theophanu, nach Köln bzw. in den Westen gebracht, sie stammte ja aus Konstantinopel und lebte in Köln und war die erste, die dort von den Wundertaten des Mannes aus der lykischen Stadt Myra, die heute die türkische Stadt Demre ist, berichtete. Er starb am 6. Dezember, Ende des 3. Jhds und seine Gebeine, die lange in Myra aufbewahrt wurden, wurden später von Genuesischen Kaufleuten gestohlen und nach Bari gebracht, was im 12. Jahrhundert geschah und so spektakulär gewesen sein muss, dass das ganze Abendland aufhorchte und sich auf einmal für diesen Heiligen interessierte. Was man diesem Heiligen für christliche Attribute nachsagt, wusste ich bislang eigentlich gar nicht so genau, weil ich ihn wie gesagt nie als Heiligen angesehen habe. Außer dass er der Patron der Schiffer und Kaufleute ist, habe ich nun herausgefunden, dass er für alle möglichen Arten von Wohltätigkeit steht. Man kann ihn anrufen, wenn man geschäftlichen Erfolg oder ein Kind haben möchte oder wenn man von einer Krankheit geheilt werden oder eine Reise machen will. Heute, zwei Tage vor Nikolaus Todestag, habe ich mich in Istanbul, wo es mindestens fünf Nikolauskirchen gibt, auf den Weg gemacht, um einige davon zu besuchen und zu gucken, wie dort, in den griechisch-orthodoxen Kirchen, Nikolaus gefeiert wird. Die erste Nikolauskirche wurde übrigens schon im 6. Jahrhundert unter Justinian eingeweiht. Sicherlich hat es früher einmal sehr viel mehr Nikolauskirchen gegeben als heute. Auch die Justinianische Kirche existiert nicht mehr, und von einer anderen Nikolauskirche aus dem 14. Jhd. weiß man, dass sie in die heutigen Kefelimoschee umgebaut wurde (im Stadtteil Fatih gelegen). In der Altstadt kann ich heute noch drei finden. Eine, die griechische, habe ich schon bei meinem Weg entlang der Theodosianischen Landmauer beschrieben, ohne zu wissen, dass sie St. Nikolaus geweiht ist. Die zweite befindet sich in Richtung des Marmarameeres, sie will ich heute als erstes besuchen. Als ich in dem Viertel Fatih ankomme, das einen sehr altmodisch muslimischen Eindruck macht und von dem aus man sehr schön zum Marmarameer hinunter gucken kann, sehe ich schon beim Aussteigen aus dem Bus drei alte Kirchen, es sind das Türkiye Ermenileri Patrikliği, das armenische Patriarchat von Konstantinopel an der Molla Tapesi Straße und zwei weitere armenische Kirchen, die Meryem Ana Ermeni Kilisesi kapati (St. Mary Cathedral) und die Surp Vortvorts Vorotman Kilisesi (St. Vortvorts) Kirche. Aber ich will weiter zur Nikolauskirche, die eine Straße weiter ist und auffällig gelb gestrichen. Der Glockenturm verrät den Namensgeber: Er hat die Form des Nikolaushutes. Die Tür steht offen, was sonst nie vorkommt, wenn ich eine Kirche besuchen will. Ich trete ein und befinde mich in einem bezaubernden kleinen Garten, voll blühender Rosen und singender Vögel, von dem aus man bis zum heute im Sonnenschein blitzenden blinkenden Meer blicken kann. Rechts ist der Eingang zur Kirche, in der ein Gottesdienst stattfindet. Mehrere feierlich gewandete Priester halten ihn ab und es sind eine ganze Reihe von Menschen da, denen man irgendwie ansieht, dass sie anders sind als die Türken, die man sonst so auf der Straße sieht. Sie haben irgendwie etwas „westliches“. Der Gottesdienst ist auf Griechisch und schon fast zu Ende. Ich bin viel zu spät gekommen. Am Schluss gehen die Gläubigen nach vorne und bekommen Brot vom Priester. Auch ich werde nach vorne gewunken und bekomme zwei Stücke von dem in kleine Teile gebrochenen Brot, das an alle Gläubigen verteilt wird. Das erinnert mich an die protestantische Sitte des Abendmahles, bei der man Brot isst. Bei den Katholiken habe ich so etwas nie wieder gesehen und bin nun ganz erstaunt, es hier bei den Orthodoxen wiederzufinden. Der Priester spricht mich an und lädt mich ein, doch mitzukommen zur Zusammenkunft im Gemeindesaal; Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich frage nach dem Brot und der Verteilung, er erklärt mir, dass es sich dabei um die Artoklasia handele, in Nachahmung von Jesus Brotverteilung würden die Gläubigen an hohen Festtagen ein Stück Brot bekommen und es mit nach Hause nehmen. In dem hellgelb angestrichenen leuchtenden Gemeindesaal, der am anderen Ende des Gartens ist, in dem die Kirche steht, stehen Reihen von Stühlen, auf denen schon die Gläubigen sitzen. Ich setze mich auf einen Stuhl und werde bewirtet, als würde ich dazugehören und sehr freundlich befragt, wie ich heißen würde, woher ich komme, was ich hier mache. Währenddessen trinken wir Tee und dann bekomme ich noch einen Beutel mit Gebäck: Mein Nikolausgeschenk für heute! Ich verabschiede mich. Die Priester, die hinter einem großen mit Blumen geschmückten Tisch sitzen, segnen mich. Dann gehe ich weiter. Die nächste Nikolauskirche ist ein ganzes Stück entfernt, auf der anderen Seite der Halbinsel, direkt am goldenen Horn gelegen. Auch hier empfängt mich eine offene Tür: Der Nikolaus scheint Glück zu bringen. Der Gottesdienst war schon am Morgen und eine sehr freundliche Frau führt mich durch die Kirche. Vorne im Eingang hängt ein prächtiges Schiff. Ich staune über die Schönheit der Kirche und die wunderbaren alten Ikonen. Ein Pärchen spricht mich auf Türkisch an. Sie erzählen mir, dass sie Ingenieure seien und an der Restaurierung dieser Kirche beteiligt. Englisch sprechen sie nicht, aber ich verstehe, dass sie mir viel Glück wünschen. Als ich wieder aus der Kirche trete, an der der Verkehr vorbeirauscht und zum Wasser gehe, bin ich schon sehr hungrig, denn die Wege waren lang und ich habe zum Frühstück nur eine Banane gegessen. Ich esse jetzt die Kekse, die mir köstlich munden und ein Stück Brot vom Nikolausbrot esse ich auch, das andere will ich aufheben. Als ich zur Brücke komme, die ich überqueren muss, um auf meine Seite zu kommen, wundere ich mich sehr. Noch nie habe ich hier, auf dieser Brücke, so viele Angler gesehen. Schulter an Schulter stehen sie da und angeln ihre Fische. Ich muss an die Brotvermehrung und an die Fischvermehrung aus der Bibel denken. Und dann fällt mir wieder ein, was zurzeit überall das Gespräch ist: Die Inflation! Eben auf dem Weg hierhin habe ich doch noch in Yenikapi Fotos gemacht von den langen Schlangen von Einheimischen, die vor den Wechselstuben stehen und ihre Lira gegen Euro eintauschen wollen. Die Menschen stehen hier nicht zum Spaß und angeln. Die Fische sind ihr täglich Brot. Da wäre ein Nothelfer nicht schlecht! Hoffentlich macht der Nikolaus, dass sie am Abend mit ganz vielen Fischen nach Hause gehen.