Aya Nikolas – Heiliger Nikolaus

Für uns Bremer ist der Nikolaustag schon immer etwas Besonderes gewesen. Vielleicht liegt das daran, weil Nikolaus der Schutzheilige der Schiffer und der Geschäftsleute ist. Der Nikolaus war im protestantischen Bremen natürlich kein Heiliger. Den ihm rein äußerlich ein wenig ähnelnden Sankt Martin lernte ich erst im Rheinland kennen. Unsere bremischen Laternenumzüge aber fanden schon lange vor dem Martinstag statt, zur Zeit von Erntedank gingen wir Kinder mit Laternen und bekamen anschließend Beutel mit Süßigkeiten geschenkt. Im Dezember war dann der sechste Dezember einer der ersten Höhepunkte des letzten Monats im Jahr. Man bekam morgens Süßigkeiten und Obst, das er, der immer mit einem Esel unterwegs war, heimlich in die gut geputzten Schuhe oder auf Teller legte, die man am Vorabend hinausgestellt hatte. Am späten Nachmittag dann verkleideten wir uns und begingen das Nikolauslaufen bzw. Sünnerklaaslaufen. Wir gingen erst an der Hand der Eltern und später auch alleine durch die Straßen und sangen vor den Geschäften und auch an mancher Haustür unsere plattdeutschen Nikolauslieder “Sünnerklas de groote Mann…” und insbesondere das “Bin ein lütschen König…”, das ich am meisten mochte. Daraufhin bekamen wir noch einmal Süßigkeiten und Obst in unsere Tüten. Auch diese Sitte fand ich später im Rheinland an St. Martin wieder. Dort werden allerdings Laternen getragen, wenn man um Süßigkeiten singt. Der Nikolaus wurde in Bremen nicht mit der Kirche oder irgendwelchen guten Taten in Verbindung gebracht. Er war eher so eine Art Weihnachtsmann und sieht auf Abbildungen ja auch so ähnlich aus. Ich selbst wunderte mich als Kind immer darüber, dass es zwei “Weihnachtsmänner” gab, denn zu Heiligabend kam bei uns Protestanten natürlich nicht das Christkind durchs Fenster, um Geschenke abzulegen, sondern der Mann im roten Mantel, der im norddeutschen Raum schon lange existierte, bevor er von Coca Cola weltweit bekannt gemacht wurde. Später dann, als ich anfing, mich für Russland zu interessieren und feststellte, dass er dort als Väterchen Frost eine große Rolle spielte, glaubte ich eine Weile, wir Nordländer hätten vielleicht unseren Nikolaus, der immer mit seinem Knecht Ruprecht kam, dem Väterchen Frost abgeguckt. Das Nikolauslaufen, verkleidet und um Süßigkeiten singend, ist übrigens, was ich bis heute nicht wusste, eine rein bremische Tradition. Manchmal bekamen wir auch morgens eine Rute, an die Süßigkeiten angehängt waren oder es wurde uns angedroht, dass wir nichts bekämen, weil wir ungezogen waren. In Köln aber wurden den Kindern die Leviten gelesen, bevor sie Süßigkeiten bekamen. Das fand ich, als ich es mitbekam, eher beängstigend und war froh, dass wir diese Süßigkeiten als Kinder ohne die Angst vor Bestrafung erhielten. Den Nikolauskult hat übrigens wahrscheinlich meine Kölner Nachbarin, die Kaiserin Theophanu, nach Köln bzw. in den Westen gebracht, sie stammte ja aus Konstantinopel und lebte in Köln und war die erste, die dort von den Wundertaten des Mannes aus der lykischen Stadt Myra, die heute zur Türkei gehört und Demre heißt, berichtete. Er starb am sechsten  Dezember, am Ende des dritten Jahrhunderts und seine Gebeine, die lange in Myra aufbewahrt wurden, wurden später von genuesischen Kaufleuten gestohlen und nach Bari gebracht, was im zwölften  Jahrhundert geschah und so spektakulär gewesen sein muss, dass das ganze Abendland aufhorchte und sich auf einmal für diesen Heiligen interessierte. Er ist ja nicht nur der Patron der Schiffer und Kaufleute, sondern steht auch für alle möglichen Arten von Wohltätigkeit. Man kann ihn anrufen, wenn man geschäftlichen Erfolg oder ein Kind haben möchte oder wenn man von einer Krankheit geheilt werden oder eine Reise machen muss. Heute habe ich auf den Weg gemacht, um zu gucken, wie hier, im Land, aus dem er kam, der Geburtstag von Nikolaus gefeiert wird. Die erste nach ihm benannte Kirche in Byzanz wurde im sechsten Jahrhundert unter Justinian eingeweiht und sicherlich hat es früher einmal sehr viel mehr Nikolauskirchen gegeben als heute. Aber diese erste justinianische Kirche existiert nicht mehr. Von der aus paleologischer Zeit stammenden Nikolausbasilika weiß man, dass sie später zur KefeviMoschee umgebaut wurde. Eine der Nikolaus gewidmeten Kirchen, von denen ich heute vier besichtigen möchte, befindet sich auch in diesem Viertel. Beim Aussteigen aus dem Bus sehe ich noch drei andere alte Kirchen, das Türkiye Ermenileri Patrikliği, (armenisches Patriarchat von Konstantinopel) an der Molla Tapesi Straße und die armenischen Kirchen Meryem Ana Ermeni Kilisesi Kapati (St. Mary Cathedral) und Surp Vortvorts Vorotman Kilisesi (St. Vortvorts). Die griechisch-orthodoxe Nikolauskirche, die ich heute besuchen möchte, liegt eine Straße weiter und ist gelb gestrichen. Der Glockenturm verrät schon von weitem den Namensgeber: Er hat die Form des Nikolaushutes. Die Tür in der alten gelben Mauer steht offen und so kann ich eintreten und befinde mich ganz überraschend in einem bezaubernden kleinen Garten, der voll blühender Rosen und singender Vögel ist und von dem aus man bis zum heute im Sonnenschein blitzenden blinkenden Marmarameer blicken kann. Rechts ist der Eingang zur Kirche, in der gerade ein Gottesdienst stattfindet. Mehrere feierlich gewandete Priester halten ihn ab und es sind eine ganze Reihe von Menschen da, denen man irgendwie ansieht, dass sie anders sind als die Menschen, die ich eben noch auf der Straße gesehen habe. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil hier alle Griechisch sprechen, eine Sprache, die mir vielleicht wegen eines Altgriechischseminars, das ich während meines Studiums einmal besucht habe, irgendwie vertrauter vorkommt, als das Türkische. Der Gottesdienst ist auf Griechisch und schon fast vorbei; ich bin viel zu spät gekommen. Am Ende der Zeremonie gehen die Gläubigen zu den Priestern, die vor der Ikonostase stehen und bekommen ein Stück Brot. Auch ich werde herbeigewunken und bekomme zwei Stücke von dem in kleine Teile gebrochenen Brot. Das erinnert mich an die protestantische Sitte des Abendmahles, bei der auch echtes Brot ausgeteilt wird und keine Hostie. Bei den Katholiken habe ich so etwas nie wieder gesehen und bin nun ganz erstaunt, es hier, bei den orthodoxen Griechen, wiederzufinden. Der Priester spricht mich an und lädt mich ein, doch mitzukommen zur Zusammenkunft im Gemeindesaal; Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich frage nach dem Brot und der Verteilung, er erklärt mir, dass es sich dabei um die Artoklasia handele, in Nachahmung von Jesus Brotverteilung würden die Gläubigen an hohen Festtagen ein Stück Brot bekommen und es mit nach Hause nehmen. In dem hellgelb angestrichenen leuchtenden Gemeindesaal, der sich am anderen Ende des Gartens befindet, der die Kirche umgibt, sitzen schon die Gemeindemitglieder. Ich setze mich auch auf einen Stuhl und werde bewirtet, als würde ich dazugehören und sehr freundlich befragt, wie ich heiße, woher ich komme, was ich hier mache. Währenddessen wird immer wieder Tee in kleinen Gläsern nachgeschenkt und dann bekomme ich noch einen Beutel mit Gebäck: Mein Nikolausgeschenk für heute! Ich verabschiede mich. Die Priester, die hinter einem großen und mit Blumen geschmückten Tisch sitzen, segnen mich. Dann gehe ich weiter.

Gleich hinter dem Eingang des Topkapi-Tors, durch das die muslimischen Eroberer 1452 die bis dahin byzantinisch/griechische Stadt Konstantinopel eroberten, stehen zwei kleine und sehr alte Kirchen, die beide Nikolaus geweiht sind. Die Surp Nigoğayos Kilise, deren Eingang an der Seite in einem Gartencafé ist, besuche ich heute als erstes. Aber sie ist wie beim letzten Besuch geschlossen. Mit dem Mut der Verzweiflung klingele ich, ein Vogelzwitschern erklingt, das ist wohl das Klingelzeichen. Eine junge Frau, die eine Duschhaube auf dem Kopf trägt, öffnet mir. Die Kirche sei heute zu, sagt sie auf Türkisch. Ach, wie schade, entgegne ich. Als ich sage, ich sei doch extra wegen des Nikolaustages gekommen, scheint das sie zu rühren und sie öffnet mir doch die Tür. Ich darf eintreten, gehe in den uralten Patio mit seiner heiligen Quelle und sehe mich um. Ein großer Olivenbaum wächst vor dem Eingang, der Patio der Kirche ist sehr viel größer als von außen zu vermuten ist. Ich schaue mir dann die Kirche auch von innen an. Sie ist wie alle armenischen Kirchen hell, aufgeräumt, licht und schön. Ich entzünde eine Kerze, ein paar ältere Männer gehen an mir vorbei, der Kirchenraum ist versperrt, also muss ich ein Foto durch das Gitter machen.  Draußen fotografiere ich noch den Glockenturm. Bilde ich es mir ein, oder haben wirklich alle Glockentürme der Nikolauskirchen eine Nikolaushaube? Ich verabschiede mich und gehe fünfzig Meter weiter zur Aya Nikolao Kilise, die von außen genauso schäbig und abweisend aussieht wie die armenische Kirche, wie diese ist sie hinter hohen Mauern versteckt. Aber hier steht ein Nebeneingang offen und ich trete ein. Auch hier empfängt mich wieder ein wunderbar friedlicher uralter Patio mit einer Quelle unter uralten Bäumen. Der Gottesdienst hat schon begonnen, es wird gesungen. Der Boden des Gottesdienstraumes ist mit alten Orientteppichen ausgelegt. Als ich die Tür vom Vorraum öffnen will, stoße ich fast mit einem Priester zusammen, der gerade mit Weihrauch alle Räume ausräuchert. Der Unterschied zur armenischen Kirche ist frappant. Hier ist alles voller Gold, voller Teppiche, voller Ikonen und Patina, voller Gesang, Dunkelheit, Rauch, hier meine ich auf einmal um zweitausend Jahre zurückversetzt worden zu sein, was mir außerordentlich gefällt. Sofort kommt das „Orientfeeling“ auf, das ich mir bevor ich hierherkam, genauso vorgestellt habe. Vorne sind vier festlich gewandete Priester, im Kirchenraum sitzen aber nicht mehr als eine Frau und zwei Männer. Ein uralter Mann mit weißen Haaren und Bart ist der Oberpriester, er steht vorne und singt, gemeinsam mit einem zweiten Mann. Der gesamte Gottesdienst wird gesungen abgehalten, nach byzantinischem Ritus, der der gültige Ritus für alle orthodoxen Ostkirchen ist. Fast zwei Stunden dauert der Gottesdienst. Der Höhepunkt kommt für mich, als der Priester hinter seiner Ikonostase (das ist die Abtrennung von Kirchenraum und Altarraum, eine Mauer mit mehreren Türen, die es in jeder orthodoxen Kirche gibt) verschwindet und kurze Zeit später mit einem überaus prächtigen Gewand und hohem glitzerndem goldenen Hut (der an den Nikolaus erinnert) und einem goldenen Stab wieder eintritt, eine Ikone küsst und von den Gläubigen die Hände geküsst bekommt. Einmal steigt ein anderer Priester, der auch ein sehr auffälliges Gewand mit einem sehr langen breiten Schal trägt, der er sich auf verschiedenste Weise um den Körper bindet, um ihn dann wieder loszubinden und nun wiederum auf verschiedenste Weise durch die Hände gleiten zu lassen, auf eine hohe Kanzel, die auch nach dem Nikolaushut aussieht. Am Ende des Gottesdienstes, dem ich versunken und bezaubert gefolgt bin, werde ich schon wieder nach vorne gebeten und bekomme mein Nikolausbrot in die Hand gedrückt und eine kleine Ikone des heiligen Nikolaus gibt es noch dazu. Anschließend bitten sie mich, doch mit in den Gemeinderaum zu kommen, dort gäbe es noch Tee. Der uralte Priester und die anderen Priester kommen auch dazu und tragen Zivil und sind auf einmal ganz normale und sehr freundliche Menschen. Eine der Frauen aus der Kirche kann Englisch, sie fragt mich aus und übersetzt, weil alle neugierig sind, was ich hier mache. Anschließend erzählt sie mir ihre Geschichte. Sie sei Griechin, aus Athen, aber mit einem Griechen aus Istanbul verheiratet. Diese hießen Rum, was von römisch komme, und sich darauf beziehe, dass Istanbul früher die Hauptstadt des oströmischen Reiches gewesen sei. Sie sei seit vielen Jahren mit ihrem Mann verheiratet, der jedoch vor vier Jahren, nach dem Tode seines Vaters, nach Istanbul zurückgekehrt sei, um dessen Geschäfte zu übernehmen. Die vielen Griechen Istanbuls, zweihunderttausend seien es noch 1914 gewesen, hätten ihre Stadt, in der sie seit zweitausend Jahren und mehr gelebt hätten, inzwischen bis auf zweitausend Personen alle verlassen. Alle zehn Jahre gab es ein Progrom seit 1914, erzählt ihr Mann mir dann, das Schlimmste war 1955. Aber danach gab es auch immer wieder Ausweisungen und Progrome. Dann haben sie unseren Besitz geschätzt und einfach eine Null drangehängt und uns darauf entsprechend die Steuern für uns Christen und Auswärtige auferlegt, obwohl wir doch seit immer hier lebten. Und wenn wir die nicht bezahlen konnten, kamen wir ins Arbeitslager. Diese Vorfälle hatte ich schon in der Serie „Der Club“ (kulüb) gesehen, die vor kurzem auf Netflix erschienen ist und in der die Ereignisse um das große Griechenprogrom 1955 herum beschrieben werden. Die Türken seien mit den Griechen und den Armeniern so schlimm umgegangen wie die Nazis mit den Juden, aber davon würde niemand reden, das würde immer noch verschwiegen, sagt er. Dann erzählt er mir noch, dass seine Eltern ihn und seine Geschwister 1974, als es wieder ein Progrom gab, nach Griechenland geschickt hätten, damit sie eine Zukunft haben. Er sei Architekt und jetzt sei er nach seiner Pensionierung hierher zurückgekommen und führe den elterlichen Betrieb weiter. Und ob ich den Film „Politiki Kusina“ kennen würde? Ja, den kenne ich! Er handelt von der Ausweisung der Griechen aus Istanbul im Jahr 1964. Aber der deutsche Titel des Films, der 2003 gedreht wurde lautet „Zimt und Koriander“, ähnlich wie auch der türkische Titel „Bir tutam baraha“ (eine Tüte Gewürze). Er erklärt mir, dass Politika Kusina ein Wortspiel sei. Es beziehe sich auf Polis (Stadt), wie die Griechen Byzanz/Konstantinopel/Istanbul nennen. Und es bezieht sich in doppeldeutigem Sinne auch auf Politika, das griechische Wort für Politik und spiele auf die Machtspiele an, die die Türken mit den Griechen betrieben hätten. Nur habe man den Film in der Türkei unter diesem provokanten Titel nicht zeigen dürfen. Und hört man denn einen Unterschied, wenn Sie oder Ihr Mann, die ja beide Griechen sind, ihr Griechisch sprechen, frage ich Eleni. Mein Mann ist kein Grieche, er ist ein Rum, sagt sie, ein griechisch sprechender Mensch aus Istanbul. Die sprechen genauso griechisch wie ich, aber sie haben einen feinen Akzent. Ich verabschiede mich per Handschlag von den beiden und von den Priestern und gehe raus, auch um die Kirche noch einmal von innen zu fotografieren. Im Innenraum hängt ein wunderschönes beleuchtetes Schiff, das Symbol des hl. Nikolaus, der ja der Patron der Seefahrer ist, was hier, in der von Wasser umgebenen Stadt eine wichtige Rolle spielt. Und mir fällt ein Begriff ein, den ich vor kurzem hörte: Gemileri Yakmak (Schiffe abbrennen). Das haben die sefardischen Juden gesagt, als sie im fünfzehnten Jahrhundert im Rahmen der Inquisition aus ihrer Heimat Spanien vertrieben wurden, hier in Istanbul ankamen und ihre Schiffe verbrannten, weil sie für immer hier bleiben wollten. In manchen Synagogen hier in Istanbul stehen als Symbol dafür noch Gebetskanzeln in Form von Schiffsbugen. Gemileri yakmak ist ein geflügeltes Wort dafür, dass man nicht mehr zurückkehren wird. Es trifft ja auch auf die meisten Arbeitsmigranten in Deutschland zu. Die Rum, die Griechen in der Türkei, die nach Griechenland, das nie ihre Heimat gewesen ist, vertrieben wurden, sehnen sich nach ihrer eigentlichen Heimat. So wie der Mann der Frau, der eben noch zu mir gesagt hat: Mein Vater hat mich nach Griechenland geschickt, aber ich habe mich immer nach meiner Heimat zurückgesehnt. Und das war Istanbul. Ein wenig betreten angesichts dieser Erzählung verlasse ich die Kirche und gehe zur letzten Nikolauskirche des heutigen Tages. Sie ist ein ganzes Stück entfernt, auf der anderen Seite der Halbinsel, auf der sich die Altstadt befindet, kurz vor der Atatürk-Brücke, direkt am Goldenen Horn gelegen. Und auch hier empfängt mich eine offene Tür: Der Nikolaus scheint Glück zu bringen. Der Gottesdienst hat auch hier schon am Morgen stattgefunden, eine sehr freundliche Frau führt mich durch das Gebäude. Vorne im Eingang hängt ein prächtig beleuchtetes Schiff. Ich staune über die Schönheit der Kirche und die wunderbaren alten Ikonen. Ein Paar, das sich in der Kirche aufhält, spricht mich auf Türkisch an. Sie erzählen mir, dass sie Ingenieure seien und an der Restaurierung dieser Kirche beteiligt. Englisch sprechen sie nicht, aber ich verstehe, dass sie mir für mein Projekt, von dem ich ihnen dann auch erzähle, viel Glück wünschen. Aber habe ich nicht schon alles Glück der Welt? Ich habe Zeynep gefunden und kann diese Wochen und Monate mit ihr hier verbringen, nachholen, was wir in den letzten achtunddreißig Jahren nicht tun konnten. Jeder Ausflug mit ihr hier in Istanbul, denke ich gerade, ist für mich eine Bereicherung gewesen! Als ich wieder aus der Kirche trete, an der der Verkehr vorbeirauscht und zum Ufer des Goldenen Horns gehe, bin ich auf einmal sehr hungrig, denn ich habe heute bisher nicht mehr als eine Banane gegessen. Ich esse jetzt die Kekse, die mir köstlich munden und ein Stück Brot vom Nikolausbrot esse ich auch, das andere will ich aufheben. Als ich zur Brücke komme, die ich überqueren muss, um auf meine Seite zu kommen, wundere ich mich sehr. Noch nie habe ich hier, auf dieser Brücke, so viele Angler gesehen. Schulter an Schulter stehen sie da und angeln ihre Fische. Ich muss an die wundersame Brotvermehrung und die Fischvermehrung aus dem Johannesevangelium denken. Und dann fällt mir wieder ein, was zurzeit überall besprochen wird: Die Inflation! Eben auf dem Weg hierhin habe ich doch noch in Yenikapı Fotos gemacht von den langen Schlangen von Einheimischen, die vor den Wechselstuben stehen und ihre Lira gegen Euro eintauschen wollen. Die Menschen stehen hier nicht zum Spaß und angeln. Die Fische sind ihr täglich Brot. Da wäre ein Nothelfer nicht schlecht! Hoffentlich macht der Nikolaus, dass sie am Abend mit ganz vielen Fischen nach Hause gehen.