Immer wenn ich das Wort Ocakbaşı hörte, musste ich an Karl May denken. Da wimmelte es in seinem Wüstenzyklus doch auch nur so von yüzbaşıs und onbaşıs, die meistens dümmliche ottomanische Soldaten waren, Verlierertypen eben. Heute, mit meinen türkischen Sprachkenntnissen, die ausgezeichnet nur auf dem Gebiet der Zahlen sind, weiß ich, dass es sich bei yüz bzw. on um hundert und zehn handelt und wohl die Anzahl der Soldaten bezeichnet, die der jeweilige Titelträger (der gleichzeitig der Kopf „başı“ derselben war) befehligen durfte. Beim Ocakbaşı aber handelt es sich um nichts soldatisches, sondern um ein Restaurant mit einem großen Grill in der Mitte, an dem die Lieblingsspeise der Türken, das Fleisch, gegrillt wird. Ocak heißt Grill/Ofen und der başı ist dann wohl der Chef des Grills. Jedes Ocakbaşı hat sein spezielles Publikum und als wir rumfragen, welchen wir besuchen sollen, sagt uns jeder Bekannter etwas anderes. Der Kirwem Ocakbaşı, so hören wir, soll vor allem von Zuhältern und Prostituierten besucht werden, aber auch von Intellektuellen, die dieses Milieu schätzen, der Beyoglu Ocakbaşı hingegen ist eher ein Ort für Künstler und Akademiker. Für jeden Ocakbaşı, den wir empfohlen bekommen, gibt es wir zudem den Hinweis, auf den Namen des Hinweisgebers hinzuweisen, man sei dort gut Freund und wir würden dann Rabatt bekommen, „indirim“. Rabatt ist bei den heutigen Preisen für uns eigentlich auch nicht mehr erforderlich. Als wir heute morgen aufstehen, ist der Euro auf 19 Lira gestiegen. Es ist kalt, sehr kalt. in der Nacht sind die Temperaturen auf minus ein Grad gefallen. Wir gehen als erstes zu einem Juwelier, bei dem ich mir einen Ring bestelle, mit dem ich lange geliebäugelt habe. Der Ring muss aber geändert, ein anderer Stein eingefasst werden, das dauert zwei Tage. Der Ring kostet 2000 TL, nach heutigem Kurs etwas mehr als 100 Euro. Ich gebe eine Anzahlung (kapora, ein griechisches Wort) von 200 TL. und gehe weiter in Richtung des ägyptischen Marktes und weiter am Wasser des goldenen Horns entlang, wieder in Richtung des ehemaligen Pantokratorklosters. Das aber wollen wir heute nicht besichtigen, sondern seine Schwesterkirche und Vorläuferin, das ehemalige Theodosiakloster, das heute schon lange Gül-Camii/Rosenmoschee heißt. Das Viertel Ayvansaray, das zwischen Altstadt und dem griechischen Viertel Fener entlang des goldenen Horns verläuft, ist noch überhaupt nicht gentrifiziert, verlassene Straßen, verfallene malerische Holzhäuser erwarten uns. Geschäfte, Cafés, Bäcker kann man hier keine finden. Aber nach kurzem Weg blickt die Moschee majestätisch zu uns hinunter. Dass sie eine Kirche aus dem 9. Jahrhundert ist, sieht man von außen sofort, die Bauweise ist so ganz anders als die daneben gebaute Moscheenanlage. Nur das Minarett deutet von außen auf den Islam hin, der sich ihrer bemächtigte. Ihren Namen soll sie von der hl. Theodosia haben, der byzantinischen Stadtheiligen von Konstantinopel, deren Jahrestag, der 30. Mai, jahrhundertelang mit Rosen gefeiert wurde. Am 28. Mai 1453, dem Vorabend des Festes von Theodosia war die Kirche schon wieder von oben bis unten mit Rosen geschmückt und der letzte Kaiser Konstantinopels kam, um hier um Beistand gegen die muslimischen Eroberer zu beten…vergeblich! Am nächsten Tag drangen die Feinde durch die theodosanische Landmauer, eroberten die Stadt und fanden die rosengeschmückte Kirche vor. So geht die Legende. Wir finden die Moschee heute voller Gläubiger vor, wir sind zur falschen Zeit gekommen, eben ist noch der Ruf des Muezzins durch die Gassen geschallt. Also gehen wir weiter und finden hinter der Stadtmauer mit ihrem niedrigen Tor ein dann doch schon gentrifiziertes Café mit einem herrlich brennenden Kamin und einem heißen Bollerofen. Wir trinken Sahlep, die warme Orchideenmilch und gehen nach einer halben Stunde wieder zurück zur Moschee. Da ist sie aber verschlossen…der Wärter am Toilettenhäuschen gegenüber, der auch für die Moschee zuständig ist, nimmt gerade sein Mittagsmahl ein. Dann lässt er sich aber schon dazu überreden – ich habe türkische Begleitung dabei – uns einzulassen. Er nimmt einen sehr großen Schlüssel, der aussieht, als sei er noch aus der Zeit, als dieses Gebäude hier noch eine Kirche war (einen ähnlich großen Schlüssel benutzte ich auch in der Kirche in Mallorca, in der ich Orgel gespielt habe, um die Empore aufzuschließen, die aus dem 14. Jhd. war) und geht uns voran. Wir streifen unsere Schuhe ab und folgen ihm ins Halbdunkel der Moschee. Hier erwartet uns viel Altes, unrenoviertes, glücklicherweise, kann man nur sagen, hier ist noch nicht alles glatt, licht und oberflächlich glänzend gemacht. An vielen Stellen ist der Putz abgesprungen und man spürt auch im Innenraum den Hauch der Vergangenheit, anders als in der Pantokratorkirche, die wir vorgestern besuchten und die sich mehr nach Ikea anfühlte. Ich wundere mich darüber, dass es sehr viele große Davidsterne gibt, aufgemalt an verschiedenen Stellen des Innenraums. Unser Führer, der ein sehr freundlicher älterer Mann ist, erklärt es uns. Es handele sich um das Zeichen von Süleyman, der der Sohn von Davud gewesen sei. Süleyman? Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Es handelt sich natürlich um Salomon! Und Davud ist der biblische David, der als Prophet auch bei den Muslimen eine Rolle spielt. Da war ich nun so oft an der Süleymanyemoschee, ohne darüber nachzudenken, dass der Sultan, nach dem sie benannt wurde, nach Salomon benannt worden ist. In den Davidstern ist eine kleine Sonne gemalt, die für die Weisheit Salomons stehen soll, wie uns erklärt wird. Das finde ich sehr interessant, ich habe bisher noch nie in einer Moschee Davidsterne gesehen. Wir gehen wieder aus der Moschee, drücken unserem Führer ein paar Scheine in die Hand und gehen weiter in Richtung Innenstadt. Inzwischen ist es nachmittags, der Kurs des Euros ist in wenigen Stunden weiter gestiegen, um einen Lira auf 20 Lira.
Ich habe eine Lesung im Atlaskino, auf das ich nun fünfeinhalb Monate von meiner Wohnung aus geguckt habe. Ein Gedicht darf ich vortragen in dem riesigen Saal, gemeinsam mit acht anderen Dichtern, die auch jeweils ein Gedicht vortragen. Ich habe hierfür das Gedicht Kelebek (Schmetterling) ausgesucht, weil es mit dem BLick aus meinem Fenster zu tun hat. Wenn Ihr mögt, könnt Ihr es Euch auf youtube anhören, einfach den Link anklicken:
Besonders beeindruckend macht das wieder ein arabischsprechender Dichter, der auswendig rezitiert. Dann ist die Lesung vorbei, für die ich vom Goetheinstitut eingeladen wurde, und die etwas ein wenig peinlich offizielles hat, weil zu Beginn Reden von Vertretern der regierenden Parteien und vom Kulturminister gehalten wurden. Manche meiner Dichterfreunde hatten mir abgeraten zu lesen, andere treffe ich heute in dem großen Saal. Neben mir sitzt ein mir unbekannter Dichter, der mir nach meiner Lesung spontan seinen (türkischen) Gedichtband schenkt. Nach den Lesungen geht es weiter mit einem Konzert. Wir aber gehen weiter in Richtung des Ocakbaşıi, das uns für heute Abend besonders empfohlen wurde. Unterwegs blicke ich wieder auf die Anzeige der Wechselstuben: 21 türkische Lira. Mein Ring wird also ungefähr 100 Euro kosten inzwischen, das ist günstig. Der Ocakbaşı ist in der Nähe meiner Wohnung. Wir sitzen dann da und trinken Raki und essen erst einmal Vorspeisen. Eingelegten Thymian mit grünen Oliven, warmen Hummus mit gegrilltem Rinderschinken/Pastrami, verschiedene Auberginencremes, dazu gibt es sehr dünnes geröstetes Brot/Lawasch und anschließend kommen die Fleischstücke vom Grill, nach dem das Ocakbaşı benannt ist. Die Stimmung ist gut. Zeynep guckt sich das Buch, das mir der unbekannte Dichter geschenkt hat, an und meint, ich solle es in den Mülleimer tun; er habe an einer islamischen Fakultät studiert. Wie immer wird heute Abend viel auf das Handy geguckt. Und plötzlich sinkt die Stimmung bei einigen der Anwesenden. Denn plötzlich sinkt der Dollar, den einige hier am Tisch wegen des schlechten Lirakurses in den letzten Tagen gekauft haben, ganz rapide, gleichzeitig mit dem Euro. Dieser, der eben noch auf 21 TL gestanden hat, ist, als wir kurz vor Mitternacht gehen, auf 13 TL gefallen. Eine Freundin ist ganz verzweifelt. Glücklicherweise hat sie viel getrunken und ist noch in einer gewissen Hochstimmung, sonst würde sie jetzt wohl anfangen zu weinen. Ich ärgere mich auch ein wenig, weil ich innerhalb von wenigen Stunden für meinen Ring 70 Euro mehr bezahlen muss. Das ist jedoch irgendwie lächerlich angesichts der finanziellen Dramen, die manche meiner Freunde heute Nacht durchmachen mussten, diejenigen nämlich, die wegen des steil steigenden Verlustes der Lira Dollar gekauft haben. Trotzdem werden wir wie so oft eingeladen, als wir die Rechnung bestellen wollen, hat sie schon jemand am Tisch bezahlt. Diejenigen unserer Freunde, die vorgestern noch dachten, dass sie ihr Haus nicht mehr würden kaufen können, können heute wieder aufatmen. Als wir auf der Istiklal sind, schwirren die Nachtschwärmer noch aufgeregter herum als sonst. Manche zeigen auf die Wechselkurse, Fremde packen uns am Arm und weisen uns darauf hin. Heute Nacht ist die Türkei mal wieder gespalten in Gewinner und Verlierer.