Als ich in Budapest ankomme, habe ich noch vier Stunden Aufenthalt bis zur Abfahrt des Nachtzuges nach Bukarest. Mein Koffer ist zu schwer, um mit ihm in der Stadt herumzulaufen, also gehe ich zur Gepäckaufbewahrung. Aber die Gepäckaufbewahrung schließt um 19h. Ein freundlicher Mann weist mich darauf hin, dass es auf der anderen Seite des Bahnhofs Gepäckfächer gibt. Ich wechsele auf gut Glück 10 Euro und bekomme dafür 3000 Forint. Damit kann ich das Gepäckfach, das 1200 Forint kosten soll, bezahlen. Ich schiebe den Koffer hinein und stopfe noch Bücher hinterher und packe mein Laptop und ein Buch in meine Handtasche, aber das Gepäckfach will sich partout nicht schließen lassen, es scheint kaputt zu sein. Inzwischen hat sich um mich herum eine Gruppe von asiatisch aussehenden Menschen in meinem Alter versammelt, die ein seltsames Spanisch sprechen und mit ihrem Gepäck alle freien Fächer belegen. Ich frage auf spanisch nach, ob sie wirklich alle Fächer brauchen. Ja, antwortet eine Frau auf Englisch, natürlich. Ich frage nun auf Englisch, wo sie denn wohl herkommen. Von den Philippinen, sagt sie mir. Habe ich also doch richtig gehört. Ich wusste nicht, dass die Philippinos noch Spanisch sprechen, das dort ja bis 1973 Amtssprache war. Aber vielleicht tun es auch nur die etwas Älteren. Es kommt mir lustig vor, dass ich auf den Philippinen sprachlich so einfach klarkommen könnte. Nicht lustig ist es hingen, dass ich nun hier in Budapest immer noch meinen Riesenkoffer habe. Ich weiß gar nicht, wieso er eigentlich so schwer ist. Ein Teil des Gewichts machen auf jeden Fall die Geschenke für meine türkischen Freund*innen aus! Flaschen mit Wein und Wodka wiegen eben einfach ganz schön viel.
Ich gehe wieder zurück in die Bahnhofshalle, die zwar in Renovierung ist, aber deren lichte filigrane wunderschöne Architektur vom Ende des vorletzten Jahrhunderts sich trotzdem gut erkennen lässt. Dass der Hauptbahnhof in Budapest allerdings so klein ist (in der Haupthalle sind nur vier Gleise!! in den Nebenhallen nochmal vier), und so „oldfashioned“ im Vergleich dazu, wie inzwischen jeder Provinzbahnhof in Deutschland ausgestattet ist, ist nicht zu fassen! Als ich mich am Ticketschalter nach meinem Schlafwagen erkundige und wann er eintrifft, wird mir empfohlen, mich doch in den Wartesaal 1. Klasse zu setzen, darauf hätte ich ein Anrecht, weil ich mit dem Schlafwagen nach Bukarest weiterfahren werde. Im Wartesaal sitzen nur drei Männer in bequemen blauen Ledersesseln. Am Eingang, wo meine Tickets kontrolliert werden, bekomme ich allerdings gesagt, dass er nur bis 21h geöffnet sei. Nun gut. Die Zeit bis 23h, der Abfahrt des Zuges nach Bukarest, werde ich schon rumbekommen. Ich setze mich hin, studiere die Speisekarte und stelle fest, dass die Getränke und Speisen in diesem vornehmen Wartesaal umsonst sind. Also bestelle ich mir eine Cola und eine Pogatscha. Aber die Pogatscha ist aus, es gibt nur Thunasandwiches. Da sitze ich also dann mit meinem Thunasandwich und meiner Cola – mehr bestelle ich nicht, weil es mir irgendwie unverschämt vorgekommen wäre – zwei Stunden und schreibe Mails, in der Art, wie ich vor dreißig Jahren hier früher gesessen und Postkarten geschrieben hätte. Denn Postkarten und Briefmarken und einen Briefkasten zu suchen, erscheint mir des schweren Koffers wegen nicht angebracht. Die letzte Stunde, bevor der Wartesaal schließt, bin ich ganz alleine im Wartesaal. Auch im Bahnhof sind dann kaum noch Menschen. Alles hier kommt mir so altmodisch vor, so wie früher. Es ist nicht nur eine Reise in die Fremde, es ist auch eine Zeitreise, mit dem Zug zu fahren, muss ich denken. Eine Zeitreise in die Vergangenheit. Früher, das heißt vor 35 oder 40 Jahren, als ich noch häufiger mit dem Zug ins Ausland fuhr, war es doch auf allen Bahnhöfen so wie heute hier in Budapest. Nur dass ich damals nicht im Wartesaal 1. Klasse gesessen und umsonst gegessen und getrunken habe. Ich muss daran denken, dass es heute Morgen in Köln am Bahnhof schon so extrem voll war, so viele Menschen sind dort auch spätnachts noch unterwegs. Und das liegt nicht nur an den vielen Geschäften, die den Konsum ankurbeln. Hier hingegen sind nun, abends um 21h, weniger Reisende als Angestellte in der Bahnhofshalle und da ich jetzt hier schon einige Zeit auf und abgehe, kenne ich bis zu meiner Abfahrt bald alle, die sich um diese Zeit noch herumtreiben, die Angestellten mit ihren Warnwesten und die Anderen, die ebenso wie ich reisen werden und die paar Verwirrten und Menschen ohne Obdach. Als ich jetzt noch einmal zu den Gepäckfächern gehe, ist tatsächlich eines frei, so dass ich meinen Koffer dort verstauen kann. Da ich seit 7h, als ich von Köln aus losgefahren bin, den ganzen Tag nur gesessen habe, beschließe ich, erst einmal eine Stunde im Geschwindschritt draußen spazieren zu gehen. Der Bahnhof ist auch von außen imposant anzusehen. Auf den dunklen Straßen um den Bahnhof herum, wo die meisten Geschäfte schon geschlossen sind, sind dann doch noch einige meist jüngere Menschen unterwegs. Und so laufe ich durch die Straßen, die voller Spar-Supermärkte, DM´s und Burger Kings sind und gucke mir die Menschen an. Die Ungarn scheinen genau so starke Raucher zu sein, wie die Türken, vor allen Lokalen sitzen sie draußen, während es drinnen leer ist und es wird um die Wette gequalmt. Und getrunken. Die Stimmung ist ausgelassen und entspannt. Die elektrifizierten Busse auf den großen Straßen erinnern mich an die Busse von Bratislava, wo ich 2010 einmal war, völlig lautlos hängen sie an langen Schienen von den elektrischen Leitungen und scheinen zu schweben. Und ganz schmale Straßenbahnen sehe ich. Und Straßen voller schmutziger heruntergekommener alter Häuser. Und ich marschiere ohne Aufenthalt, bis es kurz vor Abfahrt des Zuges nach Bukarest ist. Da gehe ich zurück zum Bahnhof und wundere mich. Denn an meinem Gleis stehen kaum Menschen. Eine Romafamilie ist dort, mit 8 Kindern, zwei Frauen und einem sehr dickbäuchigen Mann, sie hocken am Boden. Und drei junge deutschsprechende Männer mit Rucksäcken. Und ein älteres Pärchen. Der Zug kommt aus Wien. Und er kommt pünktlich. In Ungarn scheint der Bahnverkehr gut zu funktionieren. Der Schaffner steigt aus der Tür meines Waggons. Er hat etwas richtig Vornehmes und trägt mir mein Gepäck hinein. Und wie es weitergeht in dieser Nacht auf Schienen Richtung Rumänien, kann ich dann leider erst morgen berichten….