In diesen Tagen findet hier in Istanbul ein Poesiefestival statt. Viele Dichter*innen aus aller Herr*innen Länder lesen dort. Bei dem Festival fiel mir wieder auf, was ich schon oft im Umgang mit Türken bemerkt habe: Sie loben gerne über den grünen Klee! Das mag ich ansonsten ja auch sehr gerne. Wenn aber noch jedes schlechte Gedicht mit einem von Rilke oder E.A.Poe verglichen wird, ist irgendwann die Grenze des Gutgemeinten erreicht. Auf dem Festival sind also gute und nicht ganz so gut gemeinte Gedichte zu hören. Eine weitere befremdliche Eigenart der türkischen Intellektuellen ist es, besonders lange Reden zu halten, die kein Ende nehmen! Aber ich will nicht zu viel meckern (typisch deutsch!!), denn ich habe die beiden letzten Abende sehr genossen, eine ganze Reihe neuer Dichter* innen kennengelernt und viele tolle Gedichte gehört. Der erste Abend fand in der umgebauten obersten riesigen Etage eines großen alten Geschäftshauses aus der Jahrhundertwende statt, das an der Istiklalstraße steht und der zweite Abend gestern in einer sehr engen Kneipe in Kadiköy, wo wir Zuschauer*innen dicht an dicht saßen. In Kneipen zu gehen macht nicht wirklich viel Spaß, wenn man inzwischen für ein Bier 5 Euro und für einen Wein mindestens 6 Euro zahlt, der hohen Steuern und der Inflation wegen. Die ist der Grund, dass hier inzwischen auch für mich alles doppelt soviel kostet wie noch vor einem Jahr. Die Türkei ist kein günstiges Land mehr. Und besonders teuer ist Alkohol. Gestern erzählte mir eine Freundin, dass sie ihre Quittungen bei der Steuer hier in der Türkei nur dann absetzen könne, wenn kein Alkohol darauf ausgewiesen sei. Schleichend wird es hier also in jeder Beziehung schwerer gemacht, noch Alkohol zu konsumieren. Fast alle Orte an der asiatischen Seite Istanbuls sind inzwischen komplett alkoholfrei. Fast alle; bis auf Kadiköy. In Kadiköy scheinen Wein und Bier und vor allem Raki immer noch zu strömen. Hier sieht die Bevölkerung allerdings auch nicht so aus wie in den anderen Orten an der asiatischen Seite, die Frauen tragen keine Tücher und die Männer keine Gebetsketten und der zentrale Platz auf dem Basar gehört einer armenischen Kirche. Die Menschen hier sprechen allerdings größtenteils englisch, auch mal spanisch und viele jetzt russisch. Am gestrigen Abend in der Kneipe in Kadiköy wurden auch alle Sprachen durcheinander gesprochen, weil die Dichter*innen wie gesagt von überallher kamen. Vor allem Englisch natürlich, das die ausländischen Dichter beherrschen wie ihre Muttersprache. Die türkischen Dichter sprechen hingegen oft kein Englisch. Und sie trinken auch kein Bier und keinen Wein in der Kneipe, wie mir gestern auffiel. Ob es an den Preisen liegt, weiß ich nicht, aber vorstellbar ist es natürlich. Die heutige Lesung, bei der es Freigetränke gab, war sehr viel besser besucht als die gestrige Lesung in der Kneipe. Als die Lesung zu Ende ist, gehen wir alle zur Fähre, um wieder nach Europa überzusetzen, wo die Dichter im Hotel de Londres wohnen, einem wunderbaren sehr traditionellen und sehr altmodischen Hotel, von dessen Dachterrasse aus man über ganz Istanbul blicken kann. Wir setzen uns auf dem Schiff oben an Deck, neben eine Gruppe von sehr türkisch aussehenden jungen Männern. Schon nach wenigen Minuten höre ich, dass die jungen Männer deutsch sprechen. Schon oft ist mir aufgefallen, dass ich, insbesondere wenn ich dachte, mit sehr türkischen Menschen zusammenzutreffen, diese plötzlich deutsch reden hörte. Oft gerade bei muslimisch verschleierten Frauen, ich schrieb ja schon darüber. Diese jungen Kerle auf der Fähre sehen allerdings nicht nach orthodoxen Muslimen aus, sie kommen ja auch von Kadiköy. Ich bekomme einen Anruf von meiner türkischen Freundin und stehe auf, um das Gespräch am anderen Ende des Bootes besser verstehen zu können. Als ich zurückkomme, sprechen die jungen Männer mich an. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in Deutschland NIE mit ihnen ins Gespräch gekommen wäre. Heute jedoch freue ich mich sogar sehr, meine Landsmänner – und solche sind sie, nämlich in Deutschland geboren, wie sie mir erzählen – hier zu treffen. Und wir sind erst recht glücklich, als wir feststellen, dass wir alle aus Köln kommen. Zwei von ihnen wohnen sogar in der Nähe vom Barbarossaplatz in Köln, also bei mir in der Nähe. Es ist doch schon seltsam, muss ich denken, dass ich ausgerechnet hier in der Türkei mit Menschen zusammenkomme und mich wirklich über sie freue und mich mit ihnen gleich fühle, mit denen ich doch in Deutschland immer nichts zu tun zu haben glaubte. Ich bin wohl doch ignoranter als ich es geglaubt habe. Aber wahrscheinlich wäre es mit unserer lustigen Unterhaltung von Landsmann zu Landsfrau auch nichts geworden, wenn sie mich nicht angesprochen hätten, weil ich mich am Telefon mit meiner Freundin auf türkisch unterhalten habe. Sie fragten mich nämlich, woher ich denn so gut türkisch sprechen würde. Das fanden sie wirklich toll: Ich würde ja besser türkisch sprechen als sie selber, die doch aus türkischen Familien kommen, wenn auch in Deutschland geboren. Das Loben haben sie aber gelernt: Ich würde doch bestimmt schon lange hier in der Türkei leben, wenn ich so gut Türkisch könne….