Eines der am meisten boomenden Geschäfte hier in Istanbul ist das Geschäft mit der Schönheit. Schön sein wollen im Orient nicht nur die Frauen sondern auch die Männer. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es hier sehr viel mehr Herrenmodegeschäfte und überhaupt auch sehr viel mehr Männer als Frauen gibt. Alles ist voll mit Herrenfrisören und Bars, in denen vor allem Männer sitzen. Meine türkischen Freunde beklagen sich darüber, dass Istanbul voller Araber sei. Damit sind sowohl Touristen gemeint, die Geld hereinbringen als auch die syrischen Migranten, die kein Geld hereinbringen. Ich weiß nicht, wieviel Schönheitskliniken es in Istanbul gibt, aber es müssen sehr viele sein, fast jede/r zehnte auf der Straße hier hat eine gebrochene gerichtete Nase, oder Blutergüsse im Gesicht und um die Augen, was wie ich jetzt gehört habe, auch auf Nasenkorrektur hindeutet. Immer wieder sehe ich auch Frauen mit furchtbar aufgespritzten Lippen. Botox, sagt meine türkische Freundin, sei das. Mit Gesichtern, in denen die Augen monsterhaft verzogen und bemalt sind. Viele Männer gibt es zudem, die das ganze Gesicht und Hals und Arme sowieso tätowiert haben. So viele Männer laufen herum und haben blutige Köpfen von Haartransplantationen. Gehe ich über die Haupteinkaufsstraße Istiklal, sehe ich tatsächlich so gut wie nie westlich aussehende Menschen. Die Türken haben wohl recht, es sind vor allem Araber hier. Abends gehe ich immer zu Nirgül, die oft bis 1 Uhr nachts arbeitet und setze mich zu ihr an ihren Schmuckstand. Nirgül sagt, die Araber hätten kein Zeitempfinden, sie seien die ganze Nacht wach, weil sie auch in ihren Ländern nichts zu tun haben, wenn sie reich sind. Und die, die nach Istanbul kommen, haben Geld. Sie sitzen auch morgens noch um 2 Uhr mit Kind und Kegel in den Cafés und rauchen ihre Wasserpfeifen, was ich immer wieder erstaunt feststelle, wenn ich einmal ganz spät nach Hause komme. Kälte macht ihnen nichts aus und erfreut sie eher, weshalb sie auch bei Temperaturen unter 10 Grad oft mit nackten Füßen draußen sitzen. Nirgül kann soviel Arabisch wie sie Englisch kann, also nur ein paar Worte. Aber das reicht für den Verkauf. Die Araber sprechen meist Englisch, manchmal helfe ich auch beim Übersetzen. Viele sind sehr wild und ungehobelt. Wie eine Gruppe von sechs jungen Palästinensern, die gestern kamen. Palästinenser kommen sehr oft an ihren Stand, fast immer wenn ich frage, sagen die arabisch aussehenden Menschen, sie seien aus Felestine, was Palästina heißt. Manchmal stellt sich dann aber auch heraus, dass sie aus Israel sind, in Akko oder Haifa wohnen. Die Männer kaufen Ringe und Ketten. Wenn sie zu wild sind, tritt der Wachdienst herbei, der in ihrer Passage Aufsicht führt, Selahattin Abi, wie Nirgül ihn nennt. Wenn er nicht Wachdienst ist, ist er Teekocher. Er holt auch Zigaretten für Nirgül und passt am Stand auf, wenn sie mal zur Toilette geht. Immer wenn ich komme, besteht Nirgül darauf, dass ich Tee trinke und oft bestellt sie zum Tee Katmer, ein sehr süßes Blätterteiggebäck mit Pistazien. Dann kommt der Mann aus dem Restaurant neben dem Schmuckstand mit einem großen Tablett, auf dem das frisch gebackene Katmer ist und zwei Gläser mit Tee und Besteck und dann sitzen wir hinter ihrem Stand und trinken Tee und essen Katmer und gucken uns die seltsamen kuriosen tätowierten aufgespritzten Menschen aus den arabischen Ländern an, von denen alle Geld haben, bis auf die Iraner, die zurzeit kein Geld haben, sagt Nirgül, die es wissen muss, denn sie arbeitet schon seit 28 Jahren an diesem Stand, hat mit 17 hier angefangen und seitdem viele Herr*innen aller Länder vorüberflanieren sehen. Dass die Iraner kein Geld haben, erzählte mir auch eine junge Iranerin, die man daran erkennt, dass sie unverschleiert sind und keine Angst vor Gesprächen mit europäisch aussehenden Menschen wie mir haben und mit der ich gestern auf der Straße redete. Sie sei in Istanbul, sagte sie mir, um ein Visum für Kanada zu bekommen, wo sie studieren möchte und wo schon ihr Bruder lebt. Im Iran gäbe es schon lange keine Botschaft Kanadas mehr, wo sie es beantragen könnte. Sie sagte mir, die Leute im Iran würden sich so sehr eine Veränderung wünschen. Wünschen, dass alles anders würde. Der Iran sei so ein wunderbares Land mit so vielen überdurchschnittlich gut gebildeten Menschen.