Adam (Der Mensch)! So lautet die neue Bezeichnung für den neuen Präsidenten. Adam kazandi! Der Mensch hat gewonnen! In diesem Zusammenhang hörte ich zum ersten Mal von ihm, vor ein paar Tagen, als ich mit Freundinnen in unserem Lieblingsrestaurant war. Als ich selber es dann sagte, mussten alle schmunzeln. Adam ist die türkische Bezeichnung für den Menschen, aber auch für einen Mann, für die Existenz und für: Die Rübe! Geheimnamen, Codes für diesen Präsidenten, der bei Allen, mit denen ich spreche, enorm unbeliebt ist, gibt es viele. Aber er hat trotzdem gewonnen. Manche sagen, es sei, weil sein Widersacher einen Fehler gemacht habe, er habe eine nationalistische Partei ins Boot geholt und daraufhin hätten einige Kurden, die das Zünglein an der Waage seien, ihn nicht mehr gewählt. Aber dass auch der Adam etwas gegen die Kurden hat, ist offensichtlich. Vor einigen Tagen noch bombardierte türkisches Militär kurdische Stellungen in Nordsyrien. Seltsam nur: Als ich gefragt wurde, wie man in Deutschland darüber denke, gab es keine Infos im deutschen Internet. Ist eine Nachrichtensperre verhängt worden? In unserem Restaurant feierten wir den Geburtstag einer Freundin. Aber anders als sonst wurde nicht Raki bis zum Abwinken bestellt. Eine kleine Flasche kostet inzwischen schon 20 Euro, das ist auch für die recht betuchten Leute, mit denen ich dort verkehrte, inzwischen viel Geld. Die Flasche wurde am Schluss noch hingelegt und hin- und hergedreht, um den letzten Tropfen herauszuholen und dann unterhielten wir uns über Schuhe. Sie klagten, dass Schuhe so teuer geworden seien, dass sie sich eigentlich nur noch einen Schuh leisten könnten und nicht mehr ein ganzes Paar! Und am Schluss wurde – auch das sensationell unüblich – die Rechnung gesplittet! Ich durfte wie immer nicht zahlen. Selbst wenn gar kein Geld mehr da ist, geht die türkische Gastfreundschaft immer noch vor!
Gestern fuhr ich zu einer befreundeten älteren Dichterin, über die ich schon mehrfach berichtet habe auf dem Blog Zeynep Suchen. Sie verbringt alle Sommer auf ihrer kleinen Insel im Marmarameer und hat mich schon mehrfach eingeladen. Die Insel heißt Sedev und ist gleich hinter der letzten und größten Prinzeninsel Büyükada gelegen. Um zu ihr zu gelangen, musste ich von Kadiköy aus mit der U-Bahn bis zur Haltestelle Kartal fahren, immer am Marmarameer entlang. Unterwegs war es so laut in der U-Bahn (von den Gleisen kommendes Geräusch), dass ich mir die Ohren zuhielt. Die Stadtverwaltung kümmert sich seit einiger Zeit nicht mehr um die Gleise, erzählte mir mein Sitznachbar, der wie er mir erzählte, hier täglich fährt. Es fehlt an Geld. Trotzdem hat Adam jedem Türken für die anstehenden Opferfestferien (Kurban Bayram) 2000 Lira spendiert. Kilicdaroglu, sein Widersacher, wollte sogar 10000 Lira spendieren, aber auch das hat ihm nichts genützt. Geldversprechen scheinen hier bei den Wahlen üblich zu sein, aber nicht unbedingt wahlentscheidend. Als ich hier ankam, also vor ungefähr einer Woche, bekam ich für 1 Euro 24 Lira. Als ich heute morgen wechselte, waren es schon 27 Lira. Die Inflation galoppiert also mit Riesenschritten, aber wieso und warum, das weiß niemand so genau. Selbst ich werde von Türken gefragt, ob ich eine Antwort weiß. Boomt denn nicht die Wirtschaft? Läuft nicht alles bestens?, so sagen sie es mir. Kauften sich nicht eben noch fast alle Nachbarn von Zeynep funkelnagelneue SUV`s? Wieso ist denn dann die Inflation so hoch?
In Kartal wartet schon mein Schiff, eine etwas größere Yacht, die nur diejenigen mitnimmt, die eine Einladung auf die Insel haben. Das heißt: Weiße reiche (türkische) Menschen, Frauen mit blonden Haaren. Adam? Nein, Kopftücher werden nicht getragen, die hier sehen eher nach Kemalisten aus, Fans also von Atatürk, den Adam eigentlich nicht gerne mögen kann, so grundverschieden wie er von diesem ist! Einige sehr gepflegt aussehende kleine Rassehunde sind auch auf dem Boot, jeder zweite hier hat einen solchen dabei. Auf Sedef, der Insel, die einem Privatmann gehört, stehen 40 Häuser. Eines davon gehört Orhan Pamuk. Ein anderes meiner Freundin, der Dichterin. Sie, die Tochter des ersten und natürlich kemalistischen Teegroßfabrikanten aus Rize, die aus adliger Familie stammt, hat es 2006 erstanden, erzählt sie mir während des üppigen Mahles, das sie aufgetischt hat: Tscherkessisches kaltes Hähnchen in Walnusssoße, Möhren mit Yoghurt, Auberginen mit Tomaten, Zucchinis, geröstet, mit Yoghurt und einige andere Köstlichkeiten mehr. Wir sitzen auf der Terrasse und schauen in die unendliche Weite des Marmarameeres. Und sie erzählt, was im Jahr 2006 noch passiert ist. Damals lebte sie nämlich noch auf einem riesigen Gutshof auf dem Festland am Rande des Marmarameers, einem Terrain mit 4000 Walnussbäumen, direkt am Wasser gelegen. Aber sie wurden – unter der Regie von Adam – eines Morgens von dem Geräusch von 500 Lastwagen geweckt, die gekommen waren, um das Grundstück und die Häuser ihres Vaters platt zu machen. Der Grund und Boden sollte dazu dienen, den Hafen zu erweitern, die See wurde an dieser Stelle aufgeschüttet, um mehr Land zu schaffen. Sie mussten also quasi über Nacht fluchtartig das Haus verlassen und konnten kaum etwas mitnehmen. Die Enteignung wurde übrigens nie entschädigt, sie habe bis heute keine Lira für ihren Besitz bekommen, erzählt sie mir jetzt. Entsprechend wütend ist sie auf denjenigen, der der Schuldige ist: Adam! Wir gehen den kleinen Privatweg zu ihrem Strand hinunter, alles ist voller Farben, voller Bougainvilleeen, die Schmetterlinge torkeln im leichten Wind, die Kiefern duften in der Mittagssonne, dann schreien die Möwen, die hier überall gegenwärtig sind, ihre Küken sitzen zwischen den Felsen. Ich gehe die paar Schritte über Kiesel ins Marmarameer, lasse mich dann in den erfrischenden Wellen treiben und schaue hoch in den wunderbar azurblauen Himmel, über dem des Nachts ein phantastischer Mond stehen soll und schaue hoch zum Haus meiner Freundin, das dort oben hinter den Oleanderbüschen steht: Es könnte so schön sein in der Türkei, wäre da nicht dieser Adam!!!