Eben bin ich aus dem Hamam gekommen und jetzt muss ich mich sputen, denn Zeynep wartet und sie hat es gar nicht gerne, wenn ich zu spät komme. Heute ist doch der Internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen und da findet die Demo statt, auf die ich schon letztes Jahr mit ihr gehen wollte. Damals kamen wir aber nicht zusammen, weil die Polizei mich nicht zur Demonstration durchließ, alle Eingänge waren versperrt. Sie schreibt mir, dass sie in einem Café am Tünel, der die zweitälteste U-Bahn der Welt ist, wartet, der Bahn, die heute Nachmittag der Demo wegen aber nicht mehr fahre. Dort am Tünel versammeln sich schon seit Jahren am 25.11., dem Tag, an dem gegen die Gewalt an Frauen erinnert wird, die türkischen Frauen, um zu demonstrieren. Natürlich illegal. Sie sind ja kein Fußballclub. Die Fußballfans dürfen jeden Samstag und Sonntag zu Hunderten und Tausenden über die Istiklal marschieren, skandieren und ihr Feuerwerk abfackeln. Da macht niemand etwas. Als ich zu Zeynep gehe, sind schon alle Seitenstraßen der Istiklal abgesperrt, überall steht Polizei, mit Maschinengewehr vor der Brust, mit Gewehren mit Plastikmunition, überall sind Sperren, Wasserwerfer, Mannschaftswagen, ganze Abteilungen von Polizisten mit großen Schildern, auch Militär in Tarnanzügen, gefährlich vermummt. Die am gefährlichsten aussehenden Polizisten sind oft sehr groß, was mir auffällt, weil die Türkischen Männer meist eher klein sind. Bei der Rekrutierung scheinen sie auf Körpergröße zu achten. Aber Demonstrant*innen sind hier und heute nicht zu sehen, nur ein paar  vereinzelte Touristinnen mit Tüten voller Einkäufe. Als ich an dem Café am Tünel angekommen bin, sitzt Zeynep dort schon mit zwei Frauen, die etwas Schwarzes flechten. Es sind Hülya und Füsün aus Canakkale, zwei Ökoaktivistinnen, Revolutionärinnen nennen sie sich. Beide sind um die 50 Jahre alt. Hülya hat 3 Töchter, die alle studiert haben, erzählt sie mir und auch, dass sie Gedichte schreiben würde. Sie selber ist aber nur zur Grundschule gegangen, deshalb kann sie kein Englisch, genauso wenig wie Füsün. Zeynep übersetzt. Sie erzählen, dass sie aktiv sind in ihrer Gegend, die ganz besonders vom Raubbau der Natur durch Minen betroffen ist. In Belgien, sagen sie mir, steht inzwischen so etwas wie Vergehen an der Natur als Verbrechen im Gesetzbuch, wird ähnlich geahndet wie Raub oder Totschlag. Das wollen sie hier in der Türkei auch gerne durchsetzen. Ich frage mich, ob es in Deutschland wohl auch so ist. Die beiden Frauen sind die 400km hierher angereist, um heute zu demonstrieren, sie kommen jedes Jahr hierher. Die schwarze Gaze, die aussieht wie schwarze Haare und die an lange Stöcke geflochten wird, soll an die Frauen im Iran erinnern. Ein schwarzes Transparent haben sie auch dabei, aber weder das Transparent noch die Haare dürfen sie zeigen, denn um das Café herum verteilt sind verschiedene Menschengruppen, Männer sowohl wie auch Frauen, die alle Geheimpolizist*innen sind, sagt Zeynep. Und die sollen nicht mitbekommen, was wir hier vorhaben. Es ist erst 16h, um 19h soll wie schon letztes Jahr die Demonstration der Frauen stattfinden, aber es empfiehlt sich, früh da zu sein, bevor sie uns einkesseln. Wir sitzen dann anderthalb Stunden in dem Café, aber nichts passiert, immer weniger Menschen gehen vorbei, anstatt dass wie erwartet immer mehr Frauen auftauchen. Dann will Zeynep einen Ortswechsel vornehmen. Wir gehen also zum Galataturm, wo wir uns in ein Café an einen Tisch setzen, neben dem eine viel zu dicke Straßenhündin liegt und seelenruhig schläft. Von hier aus können wir besser beobachten, was auf der Straße vor sich geht, sagt die sehr Demoerfahrene Zeynep. Wir trinken Wein, warten ein Weilchen  Wir sitzen eine Stunde in dem Café, als uns klar wird, dass hier überhaupt nichts mehr passiert, hier könnte keine Demonstrantin hinkommen, es ist doch alles abgesperrt. Wo sind die Demonstrantinnen? Zeynep erfährt, dass die Fähren von der asiatischen Seite in Kadiköy, das traditionell eine Hochburg der Linken ist, nicht mehr zu uns auf die europäische Seite rüberfahren. Aber irgendwo wird doch demonstriert, denn sie bekommt auf Twitter Filme zugespielt, auf denen Zusammenstöße mit Polizisten zu sehen sind. Wir beschließen, wieder zu unseren beiden ökoaktivistischen Freundinnen zu gehen. Inzwischen sind fast nur noch Polizisten unterwegs, junge Kerle zumeist, viele in Zivil, die zuweilen sogar ihre Marken zücken und uns kontrollieren, kaum einer spricht englisch und Zeynep tut jetzt so als könne sie kein Türkisch, so haben wir mehr Chancen, noch durchzukommen, mit einer Deutschen an ihrer Seite fällt sie nicht auf. Sprich bloß kein Türkisch, warnt sie mich. Füsun und Hülya sitzen immer noch vor dem Café und wir machen ein Foto mit den falschen schwarzen iranischen Haaren und ihrem Transparent, aber im Café, denn die Geheimpolizisten draußen sollen das nicht mitbekommen. Dann beschließen wir, das Demonstrieren für heute aufzugeben, es nützt ja doch nichts, wenn weit und breit niemand außer uns vieren und ca. 100 Polizisten herumlungert. Wieso haben sie solche Angst vor den Frauen, frage ich Hülya und Füsün. Sie denken, dass wir Cadi (Hexen) sind, sagen die beiden und lachen darüber. Zeynep und ich gehen in Richtung der Istiklal und versuchen, durch die Absperrung zu kommen. Ich frage einen jungen Mann, einen Zivilpolizisten, der immerhin englisch kann, was denn hier los sei, warum er uns nicht durchlasse. Es gäbe hier heute Frauen, erzählt er mir. Was für Frauen denn? Frage ich. Die Frauen würden demonstrieren, sagt er. Aber wo sind die Frauen, frage ich, ich sehe keine. Die würden später kommen, sagt er. Und was machen sie dann, frage ich. Greifen sie die Polizisten an? Nein, sagt er, sie greifen nicht die Polizisten an, aber sie würden andere Menschen angreifen, Menschen, die ihnen im Weg sind. Zeynep filmt dieses Gespräch. Nach vielem Geplänkel und dem Hinweis auf meine deutsche Stipendiatenwohnung lässt man uns durch auf die Istiklal. Unsere Taschen werden aber vorher noch von zwei Frauen mit Kopftuch kontrolliert und unsere Körper abgetastet. Ob sie befürchten, dass die Frauen irgendwelche Bomben mitbringen? Wie absurd ist das bloß? Inzwischen ist es sieben Uhr und alles voller Polizisten. Wahrscheinlich sind heute hier in Istanbul mehr Polizisten als Frauen unterwegs, sage ich. Ich führe noch einmal ein Gespräch mit einem vermummten Polizisten, frage ihn wieder, warum sie hier stehen. Aber er, der einzige in einer großen Gruppe Polizisten ist, der ein wenig Englisch spricht, versteht nicht, warum ich frage. Zeynep filmt unser Gespräch. Dann bemerken sie es und sie muss ihren Film löschen. Wir gehen weiter auf der Istiklal Richtung Taksim und kommen an dem Mangoladen vorüber, wo vor zehn Tagen der Bombenanschlag war. Die Blumen, der rote Teppich sind abgeräumt. Genauso wie die roten Fahnen, die sie am Tag nach dem Bombenanschlag wieder auf der ganzen Istiklal aufgestellt haben. Die würden heute nur stören bei dem Polizeiaufgebot. Das Bombenattentat interessiert hier jetzt niemanden mehr. Die Frauen zu bekämpfen ist wichtiger. Im Schaufenster des blinkenden Mango-Ladens sind große Werbebanner: Black Week…heute ist Black Friday, wovon die Läden allerdings nichts haben, der Absperrungen wegen ist hier keiner unterwegs. Warum ist das so? Warum drangsalieren sie die Frauen so? frage ich Zeynep. Das machen sie schon immer, Frauen und LGBT ist für sie ein Reizthema. Sie zeigt mir einen Film auf Twitter, den sie eben bekommen hat und auf dem man sehen kann, dass in einer Nebenstraße eben alle Frauen eingekesselt und festgenommen wurden. Auf einem anderen Film auf Twitter ist zu sehen, dass die Polizisten die Frauen mit Plastikgeschossen beschießen und Tränengas einsetzen. Da haben wir ja nochmal Glück gehabt, muss ich denken, als ich an der kleinen Gasse ankomme, die zu meinem Haus führt. Mir fällt wieder ein, wie es dieses Jahr am Tag der Frauen war, als ich mit ihr zur Demonstration am Taksim ging. Auch damals war die Istiklal abgesperrt. Ich entsinne mich nicht an eine einzige Gewalttat seitens einer Frau, die während dieser Demo begangen worden wäre. Und obwohl ich gerne mit Zeynep zur Demo gegangen wäre, bin ich jetzt doch irgendwie ganz erleichtert, dass ich mich nicht wie letztes Jahr und auch im März mit den Frauenmassen herumtreiben und von Tränengas einhüllen lassen muss und auf Plastikgeschosse und eine Nacht in der Zelle hätte ich erst recht keine Lust. Wir kommen zur letzten Absperrung. Wenn du so weitermachst, kennen die Polizisten dich hier bald, sagt Zeynep, du bist doch so auffällig, weil du so riesig und blond bist. Und wenn sie dich kennen, dann lassen sie dich nicht mehr auf der Istiklal laufen wie eine Touristin. Darüber müssen wir sehr lachen. Ich verabschiede mich von Zeynep. Als ich nur ein paar Meter entfernt vor meinem Haus bin, stehen sie wieder da, wie schon beim Bombenattentat vor zehn Tagen und am Tag der Frau; fünf Polizisten mit Schildern, Maschinengewehre vor der Brust. Aber sie scheinen mich noch nicht zu kennen und halten mich für harmlos und machen keine Anstalten, mich zu durchsuchen und meinen Pass zu kontrollieren. Ich darf weitergehen.